Klaus M. Uckel:  Warum Marketing für Lebenslanges Lernen?          

1. Grundsätzliche Überlegungen

Vielleicht werden Sie sich fragen: "Was hat der Staat mit Marketing zu tun?"
Weshalb spricht ein Vertreter des Staates über ein "Wirtschaftsthema?" Darf der Staat überhaupt Marketing betreiben, oder setzt er sich damit nicht dem Vorwurf der Propaganda und der Wahlwerbung aus?
"Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und gesetzgebenden Körperschaften ist in Grenzen nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern auch notwendig. ... In den Rahmen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit fällt, dass Regierung und gesetzgebende Körperschaften - bezogen auf ihre Organtätigkeit - der Öffentlichkeit ihre Politik, ihre Maßnahmen und Vorhaben sowie die künftig zu lösenden Fragen darlegen und erläutern" (BVerfGE 20, 56 [100])
Das Bundesverfassungsgericht hat sich mehrfach mit diesem Thema beschäftigt, u.a. bei großen Kampagnen zur Volkszählung (1983) und in Sachen AIDS-Prävention (1987).
Insgesamt dürfte heute unstreitig sein, dass der Staat verpflichtet ist zu wichtige Themen eine kraftvolle Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Dies betrifft jedoch nicht nur populäre Maßnahmen. Insbesondere können im Bereich der staatlichen Wirtschafts- und Sozialpolitik Maßnahmen zu Lasten der Bürger oder einzelner Gruppen von ihnen im gesamten gesellschaftlichen Interesse geboten sein, ohne dass deren Notwendigkeit den Bürgerinnen und Bürgern unmittelbar einsichtig sind. Auch hier ist es Aufgabe staatlicher Öffentlichkeitsarbeit, die Zusammenhänge offenzulegen, Verständnis für erforderliche Maßnahmen zu wecken oder um ein konjunkturgerechtes Verhalten zu werben. Schließlich ist die sachgerechte, objektiv gehaltene Information über das Recht, das die Bürger unmittelbar angeht, ein berechtigtes Anliegen im sozialen Rechtsstaat. Viele Gesetze sind heute infolge ihrer hohen Technizität ohne sachkundige Anleitung kaum noch ausreichend verständlich. Die Bürger sollten durch Informationen, die ihnen in allgemein verständlicher Weise den Inhalt von Gesetzen und deren Änderungen erläutern, über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt und in die Lage versetzt werden, von den ihnen eröffneten Möglichkeiten im persönlichen Bereich in angemessener Weise Gebrauch zu machen.
Dass Lebenslanges Lernen ein für den Staat "erlaubtes Thema" für Marketing ist, lässt sich ebenfalls mit dem BVerfG belegen; Zitat:
"Unter den Bedingungen fortwährenden und sich beschleunigenden technischen und sozialen Wandels wird lebenslanges Lernen zur Voraussetzung individueller Selbstbehauptung und gesellschaftlicher Anpassungsfähigkeit im Wechsel der Verhältnisse. Dem Einzelnen hilft die Weiterbildung, die Folgen des Wandels beruflich und sozial besser zu bewältigen. Wirtschaft und Gesellschaft erhält sie die erforderliche Flexibilität, sich auf veränderte Lagen einzustellen. Da bei Arbeitnehmern die Bereitschaft zur Weiterbildung schon wegen der begrenzten Verfügung über ihre Zeit und des meist engeren finanziellen Rahmens nicht durchweg vorausgesetzt werden kann, liegt es im Interesse des Allgemeinwohls, die Bildungsbereitschaft dieser Gruppe zu verbessern". (BVerfGE 77, 288, 333)

Was nun ist der Unterschied zum Begriff des "Marketing"?
Markt und Staat werden oft als extreme Gegensätze empfunden. Marketing, wie es oft verstanden wird, geht jedoch über Verkaufen und Gewinnmaximierung weit hinaus. Moderne Marketingkonzepte beruhen auf ganzheitlichen Ansätzen, die eine Organisation in systematischer Weise mit ihrer Umwelt verbinden. Vieles was man als Marketing des Staates bereits bezeichnen könnte, wird dennoch als "Öffentlichkeitsarbeit" beschrieben.
Es gibt allerdings einen entscheidenden Unterschied, weshalb ich - um Missverständnis zu vermeiden - nicht gerne Öffentlichkeitsarbeit verstanden haben möchte, wenn ich von Marketing spreche. Während sich klassische Öffentlichkeitsarbeit überwiegend als reine Information mittels Presse und Broschüren, also eher passiv versteht, greift Marketing aktiv in das Geschehen ein, gestaltet z.B. Umsetzungsprozesse, stellt Beziehungen zwischen Produkten und Nutzern her. Reine einmalige Informationen reichen heute nicht mehr, denn so wie bei den Lernenden Regionen werden die Produkte komplexer. Je mehr der Erfolg staatlicher Angebote auf Selbstverantwortung und Selbstorganisation der "Kunden" aufbaut umso stärker muss das Engagement des Staates i.S. eines "product-placements", i.S. eines Marketings werden. Die Schaffung einer Marke und eines entsprechenden Markenbewusstseins, worüber noch andere heute sprechen werden, ist wiederum ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg.


2. Inhaltliche Handlungsmaxime


Wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit, möchte ich mich auf die Nennung einiger thematische Aspekte beschränken, die Ihnen die praktische Notwendigkeit des staatlichen Handelns - i.S. eines Marketings für Lebenslanges Lernen - ersichtlich machen dürften:

- Auf dem Arbeitsmarkt ist ein qualitativer und quantitativer Mismatch zu beobachten:
  Fachkräftemangel einerseits und hohe Arbeitslosigkeit andererseits

- Das Lernen selbst ist nicht gesetzlich durchsetzbar,
  selbst die Zeit der Schulpflicht zeigt dies.
  Lernen ist individuell und muss auch stärker als bisher individuell gesteuert
  werden um erfolgreich zu sein.

- Möglichst früh das Lernen zu Lernen und die natürliche Neugierde
  von Kindern zu erhalten ist - leider - überhaupt nicht selbstverständlich

- Deutschland ist im internationalen Vergleich höchstens im Mittelfeld anzutreffen
  und zwar in allen untersuchten "Bildungsklassen":
  deutsche Grundschüler insgesamt und Schüler der Sekundarstufen sogar nur aus
  den in D am besten bewerteten Ländern.
  Gleiches gilt für die Weiterbildungsbeteiligung.

- Die Weiterbildungsteilnahme stagniert seit 1997, ist z.T. sogar rückläufig.
  Dies steht im Gegensatz zu der Erkenntnis, dass gesellschaftlicher und
  wirtschaftlicher Wandel vermehrtes Lernen erforderlich machen.

- Weiterbildung wird zudem nicht von allen in gleichem Maße wahrgenommen.
  Die Teilnahmequoten steigen mit dem Niveau des Schulabschlusses und
  des beruflichen Status (knowledge gap).
  Ungleiche Teilnahme hat jedoch nicht nur negative Folgen für die Nichtteilnehmer.
  Für sie und die betroffenen Familien droht Ausgrenzung aus vielen
  gesellschaftlichen Bereichen.

- Der Gesellschaft entgeht ein Nutzen, wenn nicht alle gesellschaftlichen Entwicklungs-
  und Erwerbspersonenpotentiale ausgeschöpft werden.

- Informelle Lernformen haben noch nicht die hohe Bedeutung, wie oft postuliert wird:
  gerne wird es genutzt und selten formal anerkannt,
  vorhandene Zertifizierungsmöglichkeiten, wie z.B. das Arbeitszeugnis
  sind oftmals unbekannt oder werden für diesen Zweck nicht genutzt.

- Die Expansion des informellen beruflichen Lernens führt nicht von selbst zu einer
  stärkeren Einbeziehung wissensferner Gruppen

Quasi als Abbinder zu diesem Punkt lassen Sie mich noch auf einen generellen Aspekt hinweisen:
Bildung wird einhellig als Investition in die Zukunft verstanden.
Folglich handelt es sich bei Bildungsprodukten um Investitionsgüter.
Diese Erkenntnis stärkt evlt. unser Bewusstsein für ein "Marketing für Bildung", denn für die Investitionsgüterindustrie ist es selbstverständlich für ihre Produkte einen erheblichen Werbeaufwand zu betreiben.
Wenden wir uns nun dem "Markt des Lebenslangen Lernens" zu.


3. Der "Markt" des Lebenslangen Lernens


Marketing ist die Ausrichtung einer Organisation auf Kunden und Märkte.
Ein Markt ist ein gedachter Ort, an dem Angebot und Nachfrage nach Dienstleistungen und Gütern aufeinandertreffen.
Wie sieht dieser "Markt" für das Lebenslange Lernen aus?
Lebenslanges Lernen umfasst die Gesamtheit allen Lernens über den gesamten Lebenszyklus eines Menschen hinweg. Lebenslanges Lernen findet jedoch in ganz unterschiedlichen Märkten statt.
In der frühkindlichen Erziehung, in den Kindergärten, den Vorschulen und den Schulzeit kommt es darauf an die Grundlagen für die Fähigkeit und die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen zu legen. Hier liegt die Entwicklung des einzelnen in Händen der Eltern, der Pädagogen und des Staates. Die Wahlmöglichkeiten sind begrenzt, es herrscht überwiegend Teilnahmepflicht. Bis auf wenige Ausnahmen ein monopolistischer Markt in Händen des Staates, insbesondere der Länder. Angebot und Nachfrage kommen garantiert zusammen, ob jedoch stets das richtige Angebot bereitgestellt wird und ob die Produktionsbedingungen stimmen sei dahingestellt und hier nicht weiter erläutert.
Nach dem Ende der Schulpflicht dagegen eröffnet sich eine Fülle an Wahl-Möglichkeiten für das Individuum. Rund 55 Mio. Frauen und Männer im Alter von 15 bis 65 Jahre stehen in Deutschland
- 2,9 Mio. umsatzsteuerpflichtige Unternehmen
- rund 30.000 Weiterbildungsträger (davon 61 % in freier Trägerschaft)
- 6.729 Berufs- und Berufsfachschulen
- 3.044 Fachschulen, Fachgymnasien und Akademien
- 3166 Gymnasien
- 350 Hochschulen
gegenüber, in denen Lebenslanges Lernen, sei es formal oder informell, überwiegend stattfindet. Hinzu kommt der private Bereich, wie das Familienleben und die Freizeit.
Diese Zahlen sollen nur einen Eindruck von der Vielfältigkeit und Breite des Marktes des "nachschulischen Lebenslangen Lernens" vermitteln, der von öffentlichen, freien, unternehmensnahen und sozialen Trägern bestritten wird und sich an eine unübersehbare Fülle von unterschiedlichen Zielgruppen richtet. Weiterbildung findet zum Teil in marktwirtschaftlichem Umfeld statt, ist zum Teil aber auch streng reglementiert, unterliegt u.a. dem Arbeits-, Sozial-, Wirtschafts-, Berufsbildungs- und Weiterbildungsrecht. Der wichtigste Einzel-Akteur ist die Bundesanstalt für Arbeit (BA). 1999 kam sie für rund 21 % des Gesamtfinanzierungsvolumens in der Weiterbildung auf. Die derzeitigen Umstrukturierungen der BA haben Auswirkungen auf den gesamten Markt. Die Folge wird eine zunehmende Nachfrageorientierung sein, zumindest was den Bereich der beruflichen Weiterbildung angeht. Die Ausgabe von Bildungsgutscheinen aufgrund der Umsetzung der Vorschläge der "Hartz-Kommission", stärkt objektiv die Nachfragekraft der Individuen.


4. Ziele und Bausteine einer Marketingstrategie LLL


Der "Markt" braucht neue Anstöße und Impulse, zentrale Steuerung und Regulierung sind die falschen Instrumente, denn das Lernen erfolgt individuell und ist - gerade im vor- und nachschulischen Bereich - nicht rezeptpflichtig, weil man es nicht verordnen kann.
Die Hauptziele sind schnell und präzise benennbar:
- die Bildungsteilhabe dauerhaft erhöhen,
- ständig steigende Sozialkosten reduzieren und Beschäftigung erhöhen
- Kreativpotential der Bevölkerung stärken
- Persönliche Entwicklungsmöglichkeiten der Menschen verbessern

Die Bausteine dagegen sind wesentlich umfangreicher. Lassen Sie mich aufgrund der Kürze der Zeit ein paar wesentliche Gesichtspunkte herausgreifen.
In einem strategischen Marketing-Konzept wird nach den Trends, den Märkten, den Kunden und den Produkten gefragt. Hieraus werden Ziele abgeleitet, die im Rahmen des operativen Marketings umgesetzt werden. Vor der Klammer zu berücksichtigen sind zudem die sogenannten "Megatrends" unserer Gesellschaft denen auch Aus- und Weiterbildung unterliegen:
- wachsende Bedürfnisverfeinerung
- gesellschaftlicher Wertewandel mit Trend zur Freizeit- und Erlebnisorientierung
- sprunghaftes Konsumentenverhalten.
- zunehmende Sättigung der Märkte

Ein Mittel stellen konzertierte Marketingaktionen dar, die moral suasion, die Überzeugung und das gemeinsame Vorgehen aller Verantwortlichen und Beteiligten. Die Rolle des Staates ist hierbei u. a. die Verantwortungen zu verdeutlichen und die unterschiedlichen Akteure zusammenzuführen. Vorrangiges Ziel muss hierbei sein, erst einmal die Grundlagen für ein richtiges Verständnis des Lebenslangen Lernens zu schaffen. Ich habe immer wieder den Eindruck, wenn die Eingeweihten meinen sie wüssten ist, wüssten es alle; weit gefehlt. Bald täglich passiert es mir, dass selbst sogenannte Insider der Bildungsszene mir verdeutlichen, dass sie Lebenslanges Lernen als berufliche Weiterbildung verstehen. Schauen Sie sich z.B. an, wer in der Regel auf Länderebene für Lebenslanges Lernen zuständig ist: die Kolleginnen und Kollegen aus der beruflichen Bildung.
Es wird auch nur gelingen, die Lernenden Regionen zu einer Marke zu machen, wenn die Menschen begreifen, um was es sich handelt und worin ihr persönlicher Mehrwert besteht, wenn sie diese nutzen.

Zudem müssen wir das notwendig emotionale Fundament schaffen, um das Lernen aus diesem ewigen "Bedrohungscocktail" heraus zu bringen: ein bisschen "Zwang zum Lebenslangen Lernen wegen der Herausforderungen der Globalisierung" hier ein wenig "Lernen ist wie Rudern gegen den Strom, hört man auf treibt man zurück" dort. Hierin liegen die Ursachen, dass die Menschen "Lebenslanges Lernen" mit der ängstlichen Empfindung des "Lebenslänglichen" assoziieren. Statt Bedrohungen müssen Chancen, erreichbare Erfolge und Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung und gesellschaftlichen Anerkennung vermittelt werden, sowohl den Lernenden als auch den Lehrenden. Neue Lehr- und Lernformen z.B. werden nur flächendeckend eingesetzt werden, wenn Sie Lernenden bekannt sind und damit eingefordert werden und Lehrende diese auch einsetzen können.

Um es an dem Beispiel "Neue Lehr- und Lernkultur" deutlich zu machen.
Schicke, Hoffnung erweckende Formulierungen alleine sind kein Marketing. Marketing des Staates bedeutet verantwortliches Marketing. Benutzt der Staat zu lange und zu oft solche Formeln ohne konkrete Inhalte transparent zu machen, kommt er in zweierlei Probleme:

1) Die Halbwertzeit der Produkte läuft ab, ohne dass eine breite und damit
    nachhaltige Einführung gelungen wäre.

2) Die Glaubwürdigkeit geht verloren, weil die positiv erzeugten Assoziationen
    bei den Menschen Erwartungen schürt, die zumindest scheinbar nicht erfüllt
    werden und damit Frustration erzeugen, die sich schließlich in eine
    ablehnende Haltung wandelt.

Sowohl überhaupt kein Marketing als auch ein solches mit einer "Hülse ohne Kern" kann aus staatlicher Sicht geradezu kontraproduktiv sein und zukünftige Entwicklungen schon im Keim zur Erfolglosigkeit verdammen; deshalb benötigen wir ein Gesamtkonzept i.S. der beschriebenen moral suasion.

Ein weiterer Baustein ist das zielgruppenspezifische Vorgehen, d.h. z.B. sich einer Sprache zu bedienen, die verstanden wird, dass heißt ankommt. Dazu gehört beim Lebenslangen Lernen auch die Berücksichtigung der Lernbiographie, dass heißt der unterschiedlichen Lebensphasen.

Transparenz und Beratung müssen einfließen. Nichts gefährdet Marketing so sehr, als wenn das Produkt der Kampagne nicht erhältlich ist. Die Frage wo kann ich was und wie lernen, wo kann ich beraten werden? sollte beantwortet werden können. Auch deshalb ist Marketing für das Lebenslange Lernen bzw. für die Lernenden Regionen nur erfolgreich, wenn die wichtigen Akteure eingebunden sind.


5. Schluss


Marktwirtschaftlich betrachtet, wird das Mittelmäßige, das Ambivalente aber auch das Nicht-Eindeutige, Nicht-Verständliche keine Wettbewerbschance haben. Dem Besonderen, der Kernkompetenz, dem Kerngeschäft dagegen gehört die Zukunft:
Wenn wir als Anbieter ein Produkt, eine Dienstleistung mit einer innovativen Einmaligkeit haben und es verstehen dies ausreichend transparent zu machen, dann ist dessen Zukunft gesichert.
Ob Anbieter oder Nutzer, hinter dem Lebenslangen Lernen stehen vor allem Menschen für die es wichtig ist persönlichen Begabungen und Neigungen erkennen und entwickeln zu können. Dies sind entscheidende Faktoren für das Entdecken und die Weiterentwicklung der eigenen Besonderheit und damit für das Entstehen und Erhalten von Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl und letztlich der Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung. Alles entscheidende Voraussetzung für die eigene Zukunftssicherung.

Deshalb sage ich "ja" zum Marketing für Lebenslanges Lernen.